V2X

V2H und V2G: Wie sieht die Zukunft der E-Mobilität aus?

Mit Tesla stieg 2003 ein Start-Up in die Welt der Automobilfertigung ein, der das scheinbar Unmögliche versuchen wollte: Den elektrischen Antrieb massentauglich machen, während alle anderen höchst profitabel Verbrennungsmotoren bauten. Der Hohn war Elon Musk und seinen Mitstreitern sicher, der Erfolg eher nicht – dachte man.

Über 20 Jahre ist das nun schon her, neben Tesla sind viele andere Pioniere in das Geschäft eingestiegen und auch die Traditionshersteller sind auf den Zug aufgesprungen. Dass Elektromobilität ein Zukunftsmodell ist, daran zweifelt heute kaum jemand mehr. Daher stellt sich für die Industrie zunehmend auch die Frage, wie der Weg weitergehen soll und in welchen Bereichen Innovationen möglich sind.

Ein vielversprechender Ansatz sind in dieser Hinsicht die zunächst wenig aussagekräftigen Begriffe V2H, V2G, V2V und V2L, die allgemein unter V2X zusammengefasst werden und auf der Idee des bidirektionalen Ladens basieren. In diesem Artikel wollen wir die Bedeutung von V2X erklären und die Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der E-Mobilität einordnen.

Was ist bidirektionales Laden?

Fast alle aktuell auf dem Markt verfügbaren E-Autos funktionieren nach folgendem Prinzip: Beim Ladevorgang wird Energie in die Batterie gespeist und dort gespeichert. Abgegeben wird diese Energie rein in Form von Bewegung, sobald das Fahrzeug für seine Hauptaufgabe, der Fortbewegung, eingesetzt wird.

Nun eignet sich in einer Batterie gespeicherte elektrische Energie prinzipiell aber auch hervorragend dafür, wieder als elektrischer Strom abgegeben zu werden. Die Ladebuchse des Fahrzeugs würde dann nicht nur in eine Richtung (Aufladen) funktionieren, sondern in zwei – bidirektional eben.

Auf genau dieser Idee fußt das Konzept V2X, das in der Industrie immer mehr Anklang findet. Kein Wunder, schließlich liegen die Vorteile klar auf der Hand. Doch alles der Reihe nach.

V2X einfach erklärt

Wenn ein Elektroauto künftig Energie nicht nur speichern, sondern auch in Form von elektrischem Strom wieder abgeben kann, liegt natürlich der Gedanke nahe, damit allerhand elektrische Gerätschaften zu betreiben. Und genau das ist die Idee hinter V2X.

V2X ist ein Sammelbegriff für vier Anwendungsgebiete, die sich die Industrie in dieser Hinsicht schon ausgedacht hat: V2V, V2L, V2H, und V2G. Diese Gebiete beschreiben verschiedene Möglichkeiten mit verschiedenen Anforderungen und damit Komplexitätsstufen, wie man die vom Auto abgezapfte Energie nutzen kann.

V2V steht für „Vehicle-to-Vehicle“ und meint damit die Möglichkeit, ein E-Auto zum Laden eines anderen zu nutzen. Damit würde jedes entsprechend ausgerüstete Elektro-Modell zur „fahrenden Ladestation“.

V2L (Vehicle-to-Load) beschreibt einen Anwendungsfall, der heute vor allem schon in Elektro-Pick-Ups wie dem Ford F150-Lightning oder dem Tesla Cybertruck zu finden ist. Über in der Kabine oder dem Laderaum verbaute, haushaltsübliche Steckdosen erlauben V2L-Fahrzeuge den mobilen Betrieb von elektrischen Geräten aller Art – vom Wasserkocher bis zur Heckenschere. Damit könnten Elektroautos in Zukunft auch zu idealen Camping-Mobilen avancieren.

Nochmal deutlich fortschrittlicher sind die Konzepte V2H (Vehicle-to-Home) und V2G (Vehicle-to-Grid). Dabei geht es darum, das Auto nicht nur für den Betrieb einzelner Geräte zu nutzen, sondern gleich ein ganzes Haus mit Strom zu versorgen oder gar Energie ins öffentliche Netz einzuspeisen. Ersteres ist heute etwa schon mit dem Tesla Cybertruck oder manchen VW ID-Modellen möglich.

Voraussetzung für V2H und V2G

Doch genug der Begriffsklärung und ab in die Praxis. Ganz so einfach und ohne Umstellungen funktioniert die Sache nämlich nicht – zumindest, was die beiden „komplizierteren“ Modelle V2H und V2G betrifft.

Wer sein Haus oder gar das Netz mit Strom beliefern will, braucht natürlich einen passenden Anschluss. In der Regel ist das eine Wallbox, die nun eben nicht nur die Richtung zum Auto hin, sondern auch vom Auto weg beherrschen muss. Außerdem muss die Haustechnik kompatibel sein und auch die Netzbetreiber müssen sich bei massenhafter Adoption des Systems auf die Gegebenheiten einstellen.

Das alles braucht Zeit, mindert aber in keiner Weise das Potential von V2X.

So verändert V2X unser Leben

Und dieses Potential ist gewaltig – das zeigt schon die wachsende Zahl der Automobilhersteller, die entsprechende Modelle im Angebot haben oder zumindest in den Startlöchern stehen. Und tatsächlich markiert V2X den Beginn einer neuen Ära in der (E-)Mobilität.

Das Auto, vormals exklusiv der Fortbewegung zugedacht, dringt nun auch in andere, eher statische Lebensbereiche vor, die mit Mobilität wenig zu tun haben. Warum? Weil es Sinn macht. Wenn Sie Ihr Haus über ein V2H-Elektroauto versorgen, haben Sie im Prinzip einen riesigen Stromspeicher in der Garage stehen, der überschüssigen Solarstrom oder außerhalb der Spitzenzeiten gekauften, billigen Netzstrom aufnehmen kann – nur dass der Stromspeicher Sie bei Bedarf auch in den Urlaub oder zu Arbeit bringen kann.

Und wohin auch immer sie fahren, haben Sie in Zukunft dank V2V und V2L eine riesige Batterie dabei. Da kann man selbst in den abgelegensten Gegenden einen Kühlschrank betreiben, eine Bohrmaschine nutzen, einem Auto mit leerer Batterie aushelfen oder unzählige andere Dinge tun, die zuvor mindestens einen Generator erfordert hätten.

Und genau das ist der große V2X-Vorteil: Die Technik erhöht die Autarkie und damit die individuelle Freiheit in fast schon revolutionärem Maße. Ganz nebenbei freuen sich zudem auch die Netzbetreiber, die mit tausenden, in Zukunft vielleicht sogar Millionen von Pufferspeichern in Form von V2G-Autos das Stromnetz noch viel stabiler und vorausschauender betreiben können. Und falls es doch einmal zum Stromausfall kommt, muss niemand im Dunkeln sitzen – dem Auto in der Garage sei Dank.

Auswirkungen von V2X auf die Elektromobilität

Für die Entwicklung der E-Mobilität könnte V2X ein entscheidender Faktor werden. Das Konzept bedeutet für viele Nutzer einen tatsächlich mess- und spürbaren Vorteil im alltäglichen Leben, der über die bereits bestehenden Vorteile der elektrischen Fortbewegung hinausgeht. Das könnte vielleicht auch bisherige Elektro-Skeptiker umstimmen.

Gerade vor dem Hintergrund sinkender oder gar auslaufender Fördermittel für Elektroautos und dem damit drohenden Absatzrückgang hat V2X das Potential, einen nicht-monetären Kaufanreiz zu schaffen und das Tief abzumildern – und zwar nicht nur für die Produkte eines einzelnen Herstellers, sondern für die ganze Branche.

Auch wenn die Technik schon seit geraumer Zeit einsatzfähig, und in einigen wenigen Modellen wie dem Nissan Leaf auch schon länger verfügbar ist, ist jetzt daher ein guter Zeitpunkt, V2X im großen Stil auszurollen. Einzig die Frage, wie sich die erhöhte Nutzung auf die Lebensdauer der Fahrzeug-Batterie auswirkt, gilt es noch zu klären; doch die Vorteile dürften in jedem Fall überwiegen.

Artikel verfasst von Moritz Kopp, Geschäftsführer und Redaktion von Teslabs